Dortmunder Mitternachtsmission: „Die Situation ist existenzbedrohend“

Seit einem Jahr herrscht Stillstand. Foto: Dortmunder Mitternachtsmission e.V.
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Trotz eines durchdachten Hygienekonzepts, das vom Berufsverband Sexarbeit und mehreren Gesundheitsämtern entwickelt wurde, ist Prostituierten derzeit ein legales Arbeiten nicht erlaubt. Da auch der Kontakt zu Behörden sowie Fachberatungsstellen unter den Corona-Auflagen leidet, finden sich Sexarbeiter:innen längst in einer finanziellen Notlage wieder. Robert Targan hat sich bei der Dortmunder Mitternachtsmission e. V. nach der aktuellen Situation erkundigt.

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Stillstand

Kaum ein Lebensbereich, der seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie nicht von Einschränkungen betroffen ist. Bei den vielen Fragen zum Lockdown sowie zu Corona-Regeln und etwaigen Lockerungen fällt der Blick in erster Linie auf den Schul- und KiTa-Betrieb, Einzelhandel oder kulturelle Angebote. Manche Menschen geraten da schnell aus dem Fokus, Menschen etwa, die in der Branche der Sexarbeit tätig sind. Während andere Berufe mit körpernaher Arbeit wieder ausgeübt werden dürfen (Stand: April 2021), herrscht hierzulande seit über einem Jahr Berufsverbot für Prostituierte. In Dortmund setzt sich die Beratungsstelle der Mitternachtsmission e. V. für die Belange von Prostituierten, Aussteigerinnen sowie Opfern von Menschenhandel ein. Hanna Biskoping ist als Sozialarbeiterin beim in der Dudenstraße ansässigen Verein tätig; sie weiß: „Die Pandemie trifft die Branche mit am härtesten. Sexarbeiter:innen brechen in dieser Zeit sämtliche Einnahmen weg. Diese Situation ist existenzbedrohend, denn Mieten können nicht gezahlt und Krankenversicherungsbeiträge nicht beglichen werden. Drohender Wohnungsverlust, Verschuldungen, Ängste und Verzweiflung sind nur einige der Folgen.“

Neben dem Ziel, die Klientinnen auf ihrem Weg zu einem gesunden, selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben zu begleiten, setzt sich das Team der Dortmunder Mitternachtsmission für eine sozialrechtliche Gleichstellung von allen in der Prostitution beschäftigten Menschen ein. Doch auch die Arbeit des gemeinnützigen Vereins im Dachverband des Diakonischen Werkes gestaltet sich seit vielen Monaten schwierig, leisten die mehrsprachigen Honorarkräfte doch für gewöhnlich eine aufsuchende Sozialarbeit im Milieu. „Eine große Herausforderung stellen aktuell zudem die Arbeitslosengeld-Anträge für Sexarbeitende mit Migrationshintergrund dar“, so Hanna Biskoping. „Diese haben oft keine Ansprüche auf staatliche Hilfen. Hier müssen Lösungen geschaffen werden.“ Auch unterstützt der Verein die Sexarbeiter:innen zurzeit mit Lebensmitteln, Kleidung und Stiftungsanträgen für finanzielle Beihilfen – dies sei laut der Sozialarbeiterin jedoch kein dauerhaft gangbarer Weg.

Die Sozialarbeiterin Hanna Biskoping weiß: „Sexarbeiter:innen brechen aktuell sämtliche Einnahmen weg.“ Foto: Dortmunder Mitternachtsmission e.V.

Viele Hürden erschweren die Unterstützung

Seit März 2020 sind Bordelle und Bordellstraßen, wie etwa die Linienstraße am nördlichen Ausgang des Dortmunder Hauptbahnhofes, geschlossen. Den rund 300 Frauen, die dort in 16 Häusern tätig sind (inklusive versteuerter Einkünfte, Krankenversicherung und Mietabgaben), fehlt seit vielen Monaten ein Einkommen. Haben auch Sexarbeiter:innen einen Anspruch auf Überbrückungshilfen? „Ja, und wir haben unzählige Anträge stellen müssen“, so Hanna Biskoping, „doch hier besteht vor allem die Schwierigkeit des Nachweises der Arbeit. Die Sexarbeiter:innen benötigen Quittungen, aus denen hervorgeht, wie hoch das Einkommen war und wie lange sie gearbeitet haben.“ Für viele stelle dies eine große Hürde dar, besitzen sie doch kaum Papiere. Bürokratie-Wust also, statt schnelle, flexible Hilfen. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass im Zuge der Corona-Pandemie wieder Stimmen seitens der Politik laut werden, ein generelles „Sexkaufverbot“ zu erwirken. Darin erkennt man bei der Mitternachtsmission eine große Gefahr, denn Prostitution, die ins Verborgene abdriftet, ist stets durchzogen von Angst und Gewalt. „Wir sind in Gesprächen mit Politik und Betroffenen, um genau das zu verhindern“, so Hanna Biskoping.

Ausgangs- und Kontaktsperren erschweren es Sexarbeiter:innen ungemein. Foto: Pixabay

Möglichkeiten, Ausblicke, Alternativen

Auch die Mitternachtsmission hat sich der anhaltenden Situation angepasst und bietet Corona-bedingt eine Online-Beratung an. Hier erhofft man sich vor allem, mehr Kontakt zu Kindern und Jugendlichen in der Prostitution knüpfen zu können, zählen Smartphone und Internet doch zur Lebenswelt junger Menschen. „Die betroffenen Mädchen haben so die Möglichkeit, sich zunächst anonym an die Mitarbeiterinnen der Mitternachtsmission zu wenden“, hebt Hanna Biskoping einen großen Pluspunkt des Angebots hervor. „Werden für Kinder und Jugendliche in der Prostitution keine flexiblen Angebote und Hilfen zur Entwicklung und Umsetzung von Zukunftsperspektiven geschaffen, ist zu befürchten, dass die Mädchen im Milieu verhaftet bleiben.“ Die Hemmschwelle, sich virtuell statt persönlich an eine Beratungsstelle zu wenden, ist vergleichsweise geringer, daher versteht sich die Online-Beratung als wichtige Ergänzung zur aufsuchenden Arbeit. Und das mit Erfolg, wie von Hanna Biskoping zu erfahren ist: „Wir hatten schon Chat- und Mail-Beratungen, von denen auch einige in die persönliche Betreuung aufgenommen wurden. Das Angebot verbreitet sich weiter – je mehr es publik gemacht wird, desto besser.“ Gleiches gilt für die alarmierende Lage der Sexarbeiter:innen. mitternachtsmission.de

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DORTDE33XXX

Neben finanzieller Unterstützung freut sich die Mitternachtsmission auch über Sachspenden wie Kleidung, Hygieneartikel und Lebensmittel.

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