Viele aufgegangene Lichter: Jules Ahoi im Gespräch

Jules Ahoi macht schon ziemlich lange Musik - aber daneben noch so viele andere Dinge. Foto: Frederike Wetzels
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Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Niedersachsen, wohnhaft in Köln, unterwegs auf den Wellen der Welt: Jules Ahoi liebt das Surfen, ist Musiker, Designer, Künstler und so viel mehr. Sein neustes Album „Magnolia (The Bauhaus Tapes)“ ist auf einem sehr besonderen Wege entstanden. Davon hat er uns erzählt.

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Jules Ahoi: „Ich wollte den Fokus eigentlich auf was anderes richten.“

Jules, dein Album erschien am 6.9. – hast du den Moment zelebriert?

Ja. Wir waren in Berlin, sind beim Label vorstellig geworden und haben eine tolle Akustiksession im Turm des Frankfurter Tores aufgenommen, was man sich auch auf YouTube angucken kann. Das war mega schön. Außerdem waren wir beim Radio und haben abends mit der Band angestoßen und so die sechste Platte zelebriert.

Das Album hat den Zunamen „The Bauhaus Tapes“, weil du im Bauhaus Dessau in Sachsen-Anhalt einen Monat verbracht hast. War es von Anfang an klar, dass du dort die neuen Songs schreibst?

Das hatte tatsächlich ursprünglich gar nichts damit zu tun, ganz im Gegenteil. Ich wollte den Fokus eigentlich auf was anderes richten. Ich studiere schon lange Design, male viel und mache mehrere Dinge außerhalb der Musik. Eines Abends wurde mir in die Timeline bei Instagram gespült, dass das Bauhaus eine Künstlerresidenz ausschreibt. Sonst war das immer nur für bildende Künstler, nun durften sich aber auch darstellende Künstler bewerben. So hatte ich den Plan, beide Aspekte miteinander zu verbinden.

Ich habe ein Konzept entwickelt, in dem ich mich mit Räumen beschäftigen wollte. Wie Musik in Räumen wirkt, wie man den klassischen Sender-Empfänger-Aspekt von Konzerten aufbrechen kann und es ein interaktives, gegenseitiges Erlebnis wird, indem zum Beispiel das Publikum auch Einfluss auf die Lyrics hat. Die fanden das ganz toll und haben mich für die Residenz ausgewählt, was mich sehr gefreut hat. Während des Designstudiums habe ich mich viel mit Bauhaus beschäftigt, sodass es eine Ehre war, dort ein- und ausgehen zu dürfen, weil es ansonsten ein Museum ist.

Ich war also im Februar bis März 2023 dort, mitten im Winter. Es war sehr kalt, weil die Heizung ein paar Tage nicht funktionierte, aber es gab auch eine schöne Wintersonne, die das Haus durchflutet hat. Das war schon irre, dort zu leben und es für sich einzunehmen. Positiv, weil am Ende etwas Tolles rausgekommen ist. Negativ, weil man am Anfang ganz schön einsam ist. Die Räume sind riesengroß, hell, aber leer und voller Hall.

In einem Raum stand ein einziger Stuhl. Das Licht fiel rein und ich habe beobachtet, wie im Laufe des Tages das Licht gebrochen wird und durch den Raum wandert. Da ich nichts anderes zu tun hatte, habe ich also Ewigkeiten dort gesessen und mir das Ganze angeschaut. Etwas, was man ansonsten völlig verlernt hat: Einfach nichts zu tun. Dafür haben wir heute überhaupt gar keine Zeit mehr und lenken uns schon bei wenigen Sekunden Ruhe sofort mit dem Handy ab. Für diese Erfahrung bin ich richtig dankbar, das war eine interessante, ambivalente Zeit.

Schreibmaschine statt Laptop

Wie kam es dann dazu, dass dort doch ein Album entstand?

Dass es ein Album wird, war nicht geplant. Vieles war am Anfang Poesie, ganz viele Gedichte. Schließlich habe ich gemerkt, dass sich daraus Songs machen lassen, was sich natürlich ergeben hat. Ich habe dort wahnsinnig viel geschrieben, auf Dingen herumgedacht, die mir seit Jahren im Kopf herumschwirrten. Auf dem Weg dorthin habe ich in Brandenburg auf dem Sperrmüll eine Schreibmaschine mit Papier gefunden. Vergilbt und sogar mit dem Namen der Vorbesitzerin versehen. Lauter Blätter, die alle schon mal gelebt haben. Deswegen habe ich statt meines Laptops diese Papiere benutzt und alles aufgeschrieben, was passiert ist und was ich gedacht habe.

Am Ende waren es wirklich viele Blätter, auf denen man auch genau beobachten kann, wie häufig ich bei einem Song abbiege, etwas durchstreiche, neu denke, anders mache. Am Ende habe ich die Sammlung der Notizen bei einem Konzert, auf dem ich die Songs vorgestellt habe, ausgestellt, sodass das Publikum sehen konnte, wie der Plan entstand und was am Anfang war.

Hast du ansonsten eine besondere Art, wie du Songs schreibst? Singst du dir was vor, hast du die Gitarre in der Hand?

Bei mir geht alles vorwiegend vom Text aus. Ich würde mich selbst auch gar nicht unbedingt als Musiker bezeichnen, mehr als Autor. Das Schreiben ist mein Medium. Manchmal werden daraus Songs, manchmal Gedichte, manchmal Geschichten. Ich kann gar nicht gut Noten lesen, spiele auch nicht so gut Gitarre, kann nur ein paar Akkorde und schreibe alles in einem wirschen Kauderwelsch auf. Zum Glück kann mein Bassist das Ganze immer gut für die restliche Band übersetzen, damit die überhaupt versteht, was ich will.

Hast du dann dieses Mal bewusst die Songs möglichst so gelassen, wie sie vor Ort entstanden sind?

Ich habe das Album erstmalig ganz alleine selbst produziert. Viele Tonaufnahmen sind direkt aus dem Bauhaus zu hören, besonders, um die Atmosphäre wiederzugeben und die Leute mit auf eine Reise zu nehmen. An der Musik selbst hat sich aber wahnsinnig viel verändert. Ich habe noch ein Jahr daran herumgeschraubt. Fertig ist es für mich nie so ganz, aber bis ich’s abgegeben habe, ist noch viel passiert. Wenn man also die erste Songpräsentation und die Versionen jetzt vergleicht, ist da ein himmelsweiter Unterschied.

Jules Ahoi und wie er den Tod seines Vaters aufarbeitet

Wenn du das erste Mal allein produziert hast, hast du dieses Mal also auch besonders viel in der Albumentstehung gelernt, oder?

Absolut. Man lernt immer viel, weil es um eine Gratwanderung zwischen Erfolg und Scheitern geht. Ich probiere Dinge und merke, was gar nicht funktioniert und was gut ist. Aber das Produzieren selbst mache ich mit dem Programm Ableton. Wahrlich kein einfaches Programm, weswegen ich viele YouTube-Tutorials gucken musste, um was hinzukriegen. (lacht) Das hat aber Spaß gemacht.

Für mich auch ein Emanzipationsprozess, dass ich nicht auf ein großes Studio und auf viele Menschen angewiesen bin, sondern es selbst ausprobieren kann. Manchmal ist es nämlich wirklich schwierig, Produzenten zu erklären, was man im Kopf hat. Wenn man das selbst macht, dauert es vielleicht länger, dafür hat man’s aber nicht dreimal durchgekaut und am Ende für sich selbst viel mitgenommen. Diese Direktheit ist mir bei dem Album besonders wichtig gewesen.

Jules Ahoi kommt mit seinem neuen Album gleich in drei NRW-Städte. Foto: Frederike Wetzels

Gibt es auf dem Album einen Fokussong, um den sich herum der Rest baut?

Zwei Songs sind es. Einmal ist das „Icarus“. Ein Song, in dem es um meinen Papa geht und um unsere Beziehung. Der ist vor einigen Jahren gestorben, das war immer ein total schwieriges Thema für mich. Ich hatte aber vor Ort endlich die Zeit, mich dem Ganzen zu nähern und hatte wortwörtlich den Raum, darüber nachzudenken und wurde nicht abgelehnt.

Der Song, um den sich aber vieles dreht, ist „ALLNOTHINGEVERYTHING“. Der basiert auf dem Gedicht „Lichtvisionen“ von László Moholy-Nagy. Der hat als Künstler viele Licht-Raum-Modulatoren gebaut, mit denen Licht geometrische Figuren wirft, hat das dann mit Ton und Musik verbunden, super abgedreht. Hochspannende Person. Mit dem habe ich mich in dem Haus viel beschäftigt und herausgefunden, dass er auch geschrieben hat. Das fand ich so bezeichnend, weil es bei mir ähnlich ist. Die Leute, die sich mit mir beschäftigen, wissen, dass ich Musik mache, aber wissen nicht, dass ich Design studiere, Gedichte schreibe oder mit Ton experimentiere. Das passte einfach gut und war der Anstoß zum Album, passend zur Beschäftigung mit den Lichtern im Raum.

Wenn man dich bisher nicht kannte, wie sollte man dein Album am besten das erste Mal hören?

Ich habe in meinem Wohnzimmer einen Plattenspieler, einen Sessel in der Mitte der Boxen. Dort sitze ich gerne und höre ein Album. Das wäre schön, wenn Leute das auch mal mit meinem Album tun, auch wenn es heute kaum noch üblich ist. Dabei guckt man sich bei Bildern auch nicht nur einen Ausschnitt an und bei Serien nicht nur eine Szene. Vieles kann man so nicht verstehen, man hat nur den Blick für Details. Das große Ganze ist aber auch wichtig, deswegen fände ich es toll, wenn ihr euch hinsetzt, einmal durchhört und danach urteilt. Ein Album ist ein Tagebuch von mir und spiegelt einen Lebensabschnitt wider. Ihr dürft mich gern dabei begleiten.

Gibt es sonst andere Orte, an denen du denkst, dass dort ein Album entstehen könnte?

Ich kann mir einige Orte vorstellen, an denen ich gern ein Album schreiben würde. Letztendlich kommt es mehr darauf an, ob ich die Zeit habe. Dennoch möchte ich aber lieber Geschichten erzählen, der Ort ist gar nicht so wichtig. Bei „Magnolia“ war jetzt natürlich der Ort der Faktor, der es begünstigt hat, aber ansonsten ist der Ort zweitrangig.

Du reist sowieso gerne, warst viel mit einem VW Bus unterwegs, hast „Ahoi“ in deinem Künstlernamen. Woher kommt dein Fernweh?

Habe ich häufig drüber nachgedacht tatsächlich. Ich bin ein richtiges Dorfkind. Sowohl in dem Dorf, in dem meine Eltern lebten, als auch in dem, wo meine Großeltern lebten, war einfach nichts los. Solang ich denken kann, wollte ich weg. Das Gefühl bestimmt meine ganze Jugend. Ich habe dort noch eine Handwerksausbildung gemacht, bin dann aber während des Zivildienstes schon ans Meer gezogen. Dann hatte ich das, was der Staat oder meine Eltern von mir verlangten, abgehakt, und wollte nur noch explodieren und aus der Welt ausbrechen. Ein Leben so führen, wie ich es zu dem Zeitpunkt wollte.

So in dem Ausmaß kann ich das heute nicht mehr machen, deswegen ist „Ahoi“ in meinem Namen ein kleines Rudiment. Es hat zwar etwas fernwehmäßiges, ich bin aber nun viele Jahre in Köln und bin hier auch sehr gerne. Surfen mag ich weiterhin, allerdings fordert mein Job als Künstler wahnsinnig viel Disziplin. Ein bisschen möchte ich das Ausbrechende aber beibehalten.

Was bedeutet dir denn Köln? Ist es nur was Praktisches oder auch was Emotionales?

Ursprünglich war’s was total Praktisches. Mein Management sitzt hier, ich habe Leute kennengelernt, die ein Studio haben. Hier habe ich auch mein erstes Label gegründet, was also alles nur praktisch gedacht ist. Allerdings macht es die Stadt einem so einfach, wirklich anzukommen. Ich bin hier wirklich gerne, weil die Menschen so nett sind. Oft werde ich gefragt, warum ich nicht in Berlin lebe, aber ich glaube, da würde ich kaputtgehen. Dabei gibt es hier und in den Städten drumherum so viel Publikum und tolle Infrastruktur.

„Wir sind eine ziemliche Streberband.“

Du hast dein Releasekonzert nun wieder in Dessau gespielt. Wie war’s?

War schön. Für viele geht damit das neue Album los, für mich geht es damit quasi zu Ende. Ein Kreis schließt sich. Der Ort des Geschehens.

Wie sehen deine Shows aus, die du im Oktober und November spielst?

Mal gucken, ob ich das ganze Album spiele, da bin ich noch unsicher. Wir proben jetzt und gucken, was sich ergibt, wollen aber auch alte Songs spielen. Ich denke, wir geben einen guten Einblick in die Diskographie, die mittlerweile über 100 Songs hat. Die Band ist Wahnsinn, ich bin richtig froh, mit denen zu touren.

Auf seinem Album „Magnolia (The Bauhaus Tapes)“ verarbeitet Jules Ahoi aus Köln unter anderem den Tod seines Vaters. Foto: Frederike Wetzels

Zu einem Slot sind fünf Shows an fünf Tagen in fünf Städten. Habt ihr da einen bestimmten Ablauf, damit alles gut läuft?

Ja, mit Runterkommen ist da nichts. Wir sind eine ziemliche Streberband, sind immer super pünktlich vor Ort, alles ist gut durchgetaktet. Ab und zu gibt’s in den Nachmittagsstunden noch Interviews oder Fotos. Allerdings macht meine Band es mir sehr einfach, die sind so unkompliziert. Bei der letzten Tour hatten wir sogar elf Tage mit elf Shows, das war dann doch sehr herausfordernd, auch für meine Stimme. Da habe ich im Tourbus probiert, wenig zu reden. Ansonsten sind wir aber sehr gern nach der Show noch am Merch-Stand, quatschen mit dem Publikum. Ich freue mich auch genau darauf sehr, weil es einige gibt, die seit zehn Jahren schon dabei sind. Als ob man Freunde sieht.

Hast du einen Lieblingsmoment beim Touren und einen, den du gar nicht magst?

Das Allertollste sind Konzerte in Heimatstädten, wenn ich viele Leute kenne. Wenn meine Familie kommt, geht mir das echt nah. Letztes Mal war das Gloria in Köln ausverkauft, das war Wahnsinn. Sowieso sind ausverkaufte Shows natürlich toll, weil die Stimmung so nice ist. Schlimm ist, dass ich einen sehr leichten Schlaf habe. Wenn ich mal kein Einzelzimmer habe, mein Schlagzeuger neben mir schnarcht und ich kein Auge zubekomme trotz Ohropax, dann wird’s kritisch. (lacht)

Was ist dein Wunsch für dich persönlich fürs restliche Jahr und dein Wunsch für alle anderen?

Ich würde gerne gesund bleiben. Mir geht’s echt gut, ich freue mich total, dass das Album draußen ist, ich es überhaupt machen durfte. Dass alles hier weitergeht, ist so toll. Ich hoffe, es geht noch lange irgendwie weiter. Ich möchte noch viel von dieser tollen Welt haben – und für die, die das hier lesen, wünsche ich mir das Gleiche. Seid lieb zueinander, hört aufeinander, hört auf euch selbst und hört meine Platte.

Mehr zu Jules Ahoi auf seiner Website, bei Facebook, Instagram, TikTok und Threads.
NRW-Termine: 25.10. Sputnikhalle Münster, 7.11. Gloria Köln, 15.11. Zeche Carl Essen

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