„Bock“ im Theater an der Ruhr: Über männliche Sexualität

Wann ist ein Mann ein Mann? "Bock" im Theater an der Ruhr, V.l. Marie Schulte-Werning, Klaus Herzog, Joshua Zilinske, Leonard Grobien. Foto: Franziska Götzen
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Das Theater an der Ruhr geht in dieser Spielzeit dem Geheimnis nach. Eines der größten gesellschaftlichen Geheimnisse ist, aller behaupteten Offenheit im Jahr 2024 zum Trotz, die männliche Sexualität. Dabei steht nicht in Frage, wie ein „Mann“ der Gesellschaft zufolge zu sein hat – das macht die allgegenwärtige Werbung auf allen Kanälen deutlich. Die Frage ist, wie gehen Männer damit um und was macht es mit ihrem Leben beziehungsweise ihrem Lebensplan?

Männertreff am Büdchen. V.l. Klaus Herzog, Joshua Zilinske, Marie Schulte-Werning, Leonard Grobien. Foto: Franziska Götzen
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Glossy Pain dramatisiert

Diesem Thema widmet sich die Uraufführung „Bock“ in Mühlheim. Das feministische Theaterkollektiv „Glossy Pain“ richtet das gleichnamige Buch von Katja Lewina für die Bühne ein. Mit Regisseurin Katharina Stoll, in Mülheim keine Unbekannte, gehen die Darsteller:innen Leonard Grobien, Klaus Herzog, Marie Schulte-Werning und Joshua Zilinske auf die Suchen nach dem Geheimnis „Mann“. Sie tun das auf unterhaltsame, berührende und auch nachdenkliche Weise, zeigen verschiedene Charaktere und deren Umgang mit persönlichen und gesellschaftlichen Erwartungen.

Ganz am Anfang, das Publikum kommt gerade herein, spielt der Abend bereits mit der „Mann“-Rolle: Ein Schauspieler latscht im Halbdunkel über die Bühne, im Glitzerkostüm, mit Babybauch. So unerwartet und schnell er auftaucht, so schnell ist er auch schon abgegangen, sicherlich nicht alle Zuschauer:innen haben ihn gesehen. Schade, denn dieses kleine „Gebärneid“-Zitat könnte im Umfeld des Abends eine wichtige Rolle spielen.

Auch einsame Cowboys haben heute ein Handy – und eine Mutter! Joshua Zilinske. Foto: Franziska Götzen

Lonesome Cowboy an der Ruhr

Der „richtige“ Anfang ist dafür plakativ: Auf der Leinwand, die die Bühnen-Rückwand auskleidet, reitet ein einsamer Cowboy (Joshua Zilinske) durch die Prärie. Das allbekannte Werbemotiv eines Mannes, der Freiheit und Abenteuer sucht und Herausforderungen meistert, hat aber Risse: Der Mann sieht sehr jung aus, sein Reiten und Nach-dem-Zügel-Greifen wirkt tastend, sensibel – fast schon das Gegenteil dessen, was die Medien vermitteln wollen. Die Zigarette ist einem Grashalm gewichen. Die Prärie, das sind hier die Ruhrwiesen. Aber trotzdem, hier scheint einer seine Freiheit zu genießen – bis das Handy klingelt. Die Idylle ist gestört, der Mann landet in der Realität und auf der Bühne. Der raue Cowboy entpuppt sich als aufmerksamer Sohn, der von Mutter kontrolliert wird.

Männlicher Lebenszyklus

Joshua Zilinske als Suchender bildet das Bindeglied zwischen dem sich entwickelnden Szenereigen. Er wird auf seiner Reise durch das Leben begleitet, unterstützt und kommentiert von Klaus Herzog (als androgyne Kunstfigur im Glitzeranzug oder Strandkleidchen) und Leonard Grobien.

Ratgeber-Runde für den suchenden jungen Mann. V.l. Joshua Zilinske, Marie Schulte-Werning, Klaus Herzog, Leonard Grobien. Foto: Franziska Götzen

Vor allem der im Rollstuhl sitzende Grobien sorgt mit seinen nachdenklichen Monologen maßgeblich für die Tiefe des Abends. Denn wie überall, so ist auch in dieser Inszenierung die fein abgestimmte Mischung der Emotionen einer der Schlüssel zum Erfolg: Das Publikum erlebt einen abwechslungsreichen, unterhaltsamen und zum Nachdenken anregenden Abend, der nachwirken wird.

Berührende Szene der Annäherung aneinander. Joshua Zilinske, Leonard Grobien. Foto: Franziska Götzen

Ein gelungener Theaterabend

Die mit Kunstrasen ausgestattete Bühne ist bunt, bietet dem Auge und den Schauspieler:innen mit Kiosk und Tischen und vor allem der Leinwand eine multifunktionale Spielwiese, um ein ganzes Leben eines Mannes auszubreiten. Die Darsteller:innen haben merklich Freude an Spiel und Reflektion, die Regie gibt ihnen ein sicheres Terrain, um sensiblen Fragen nachzugehen und das Geheimnis des Mannseins zu lüften. Auch die Lichtregie unterstützt bestens.

Familienidylle? V.l. Klaus Herzog, Joshua Zilinske, Leonard Grobien., Marie Schulte-Werning, Foto: Franziska Götzen

Zum Konzept des Theaters an der Ruhr gehört auch das reichhaltige Rahmenprogramm, das Zuschauer:innen die Möglichkeit gibt, das Gesehene im Gespräch mit Expert:innen, zum Beispiel Sexualtherapeut:innen, und teilweise auch den Künstler:innen des Abends zu reflektieren. Unbedingt hingehen!

Theater an der Ruhr, Akazienallee 61, Mülheim a. d. Ruhr
Bock (UA). Nach dem gleichnamigen Buch von Katja Lewina in einer Fassung von Glossy Pain. Mit Leonard Grobien, Klaus Herzog, Marie Schulte-Werning, Joshua Zilinske. Katharina Stoll – Regie / Text, Angelika Schmidt – Text, Wicke Naujoks – Bühne/Kostüm, Astrid Gleichmann – Video, Hannes Gwisdek – Musik & Komposition, Constanze Fröhlich – Dramaturgie
Noch am 12. und 13.9, jeweils mit Rahmenprogramm

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