Kantereit im Gespräch: Sommer-Electro statt Deutsch-Pop

Severin Kantereit ist seit vielen Jahren mit seiner Band AnnenMayKantereit erfolgreich. Nun bringt er erstmalig als Solokünstler Musik heraus. Foto: Martin Lamberty
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Kantereit? Fehlt da nicht ein Stück des Namens? Tatsächlich nicht, denn Severin Kantereit – einer der drei Jungs bei der sehr erfolgreichen deutschen Indie-Pop-Band AnnenMayKantereit – macht erstmalig solo und bringt eine EP raus. Wie der in Köln geborene Künstler, der schon länger in Berlin lebt, auf die Idee kam, was Henning und Christopher dazu sagen und was das Ganze mit Fahrradfahren zu tun hat, verriet er uns im Interview Anfang Juli.

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Kantereit: Kein neuer Name, weil einfach keinen gefunden

Severin, ist bei dir der Sommer 2024 schon angekommen? Warst du schon im Urlaub?

Im Urlaub war ich noch nicht, aber immerhin ist der Sommer wettertechnisch angekommen – sowohl in Köln als auch in Berlin, wo ich hin- und hertingele. Aktuell bin ich in meinem Studio in Berlin und da wird’s so langsam warm, die Sonne scheint genau drauf.

Passend zu den schönen Tagen kommt nun dein Solodebüt mit dem schlichten Namen „ep #1“. Klingt so, als ob es eine Fortsetzung geben soll…

Ja, das denke ich doch schon. (lacht)

Bei deinem Solonamen Kantereit hat man zwangsläufig auch den prägnanten Bandnamen AnnenMayKantereit im Kopf. Denkst du, das ist eher schwierig, weil du nur ein Drittel des Ganzen bist oder ist es eher ein Vorteil, weil man sofort weiß, wer dahintersteckt?

Beides natürlich. Ich habe mich aktiv dafür entschieden, den Namen zu verwenden. Ich habe zwar probiert einen erfundenen Namen oder Projektnamen zu finden, aber es ist einfach daran gescheitert, dass ich keinen gefunden habe. Deswegen dachte ich „Ach, wenn wir mit meinem Nachnamen in der Band schon angefangen haben, machen wir das jetzt einfach weiter“.

Es ist insofern auch förderlich, weil man den Namen schon mal gehört hat und direkt interessiert ist – vielleicht ist es dann aber auch doch etwas anderes, weil die Musik anders klingt als das, was im Bandkosmos passiert, wobei ich viele von meinen eigenen Skills in den Bandprojekten unterbringe. Wenn man also genauer hinhört, kann man schon durchaus Parallelen entdecken. Insgesamt fühle ich mich aber weiterhin mit dem Namen sehr wohl.

Der Kontrast ist definitiv auffällig. Die Lyrics sind auf Englisch, du singst statt Henning, die Beats sind trancig-housig. Ist das auch eher das, was du privat hörst?

Auch. Elektronische Musik höre ich schon seit Schulzeiten, als es mit der Band losging. Ich mag beide Welten. Generell hat jeder in unserer Band seinen speziellen Musikgeschmack und den, auf den wir uns alle Drei einigen. Ich fand das toll, meinem elektronischen Geschmack nun mal richtig nachgehen zu können, genauso mag ich aber den Bandsound.

Seit wann steht denn die Idee im Raum? Wie hat sich das Ganze entwickelt?

Die Idee gab es schon immer. Schon bevor die Band losging, habe ich elektronische Musik aufgeführt, also auch schon zu Schulzeiten. Dann kam die Band und ich war zehn Jahre busy. (lacht) Parallel dazu habe ich aber auch an eigenen Sachen geschraubt. Mein Kreativprozess ist so, dass ich allein am Computer sitze und was probiere und irgendwann kommt dann die Abzweigung, ob es wohl was für die Band sein könnte oder eher nicht.

So hat sich einfach auch viel Material angesammelt, was nie für die Band gedacht war oder dort gebraucht wurde. Viel Demomaterial, was ich schon immer mal veröffentlichen wollte. Seit vier Jahren ungefähr wurde das Ganze konkreter. Seitdem feile ich das genauer aus, es dauert aber, bis man seinen Stil gefunden hat. Und da wir dieses Jahr mit der Band weniger machen, passt das zeitlich gerade echt gut. Macht Spaß, das einfach mal zu machen.

Severin Kantereit im Gespräch: „Ich muss für mich selbst überlegen, wann der Song nun fertig ist.“

Heißt also, für dich war recht schnell klar, dass wenn es ein Soloprojekt wird, es so klingen wird?

Auf jeden Fall. Klar, das entwickelt sich schon ein wenig. Ich habe dann ja auch mit der Stimme experimentiert, vieles analog und nicht nur am Computer aufgenommen. Da konnte ich von den Banderfahrungen einiges adaptieren, wie eben den warmen, akustischen Sound, den ich auch einfach mag. Das habe ich dann hier in meinem Studio ausprobiert und daran gebastelt.

Gibt es denn trotzdem Hindernisse, die aufkommen? Besonders, wenn man in der Band etwas ganz anderes macht? Bist du dann in einem bestimmten Modus, wenn es um dein Soloprojekt geht?

Erstmal ist es für mich neu, ganz allein zu arbeiten. Normalerweise kommen früher oder später immer die anderen beiden dazu, selbst wenn man erst was alleine entwickelt. Das fehlt natürlich, sodass ich für mich selbst überlegen musste, wann der Song nun fertig ist. Da habe ich mir aber auch Hilfe von Leuten geholt, die die Songs mit mir gemeinsam fertig produziert haben. Die Entscheidungen zu treffen, ob man nun zufrieden ist oder doch nochmal umwirft, ist eindeutig anders.

Würdest du sagen, du hast durch das Schreiben und Produzieren neue Skills dazu gelernt?

Ja, ich konnte zwar schon ganz viel, habe aber trotzdem auch viel neugelernt. Ich habe zwar bereits für die Band viel produziert bei den letzten Alben, was ein ähnlicher Prozess ist, aber in dem letzten Schritt beim Mixing steige ich weiterhin aus. Ich verrenne mich da sonst in Details. Auch wenn ich gerne an Songs herumschraube, hole ich mir da jemanden dazu, der das wirklich gut kann.

Trotzdem ist aber ja die Songstruktur bei elektronischer Musik anders. Man macht eher nicht das typische Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Doppelrefrain-Schema, sondern kann sich davon auch mal lösen. Ich mag es, dass die Songs dann mal über vier Minuten gehen, ohne dass in der Zeit etwas krass Neues passieren muss. Das macht Spaß, aber ich musste mich auch dran gewöhnen. Wir schauen in der Band schon mehr drauf, dass sich die Parts unterscheiden.

Kantereit plant, über mehrere Jahre immer mal wieder seine eigene Musik zu veröffentlichen. Foto: Martin Lamberty

Hast du konkrete Vorbilder in dem Genre? Deine EP erinnert im ersten Moment an einen Mittelweg aus James Blake und The xx.

Och, das ist doch schon mal eine schöne Referenz. Die tauchen beide in meinem Referenzhören und meinen Playlists auf, auf jeden Fall. James Blake hat uns sogar schon als Band damals geprägt. Als seine erste EP kam, haben wir mit AnnenMayKantereit angefangen. Da war ich auch noch zwischen diesen elektronischen Welten und akustischen Klaviersounds. Fand ich cool.

Ich höre aber generell gerne querbeet und ziehe mir auch aus klassischen Rocksongs Elemente, die ich dann jetzt in der elektronischen Richtung adaptiere. Etwas, was ich in den letzten Jahren gelernt habe – dass man hin- und herswitchen kann und nicht alles diesen typischen Genre-Stempel braucht. Alles, was Musik ist, kann man benutzen.

Nur mit Support von Henning und Christopher

Holst du dir denn trotzdem von den anderen Beiden aus der Band – Henning und Christopher – Feedback oder verzichtet ihr bewusst bei euren Soloprojekten darauf, was die anderen denken?

Nee, die kennen das schon immer. Wir spielen uns gegenseitig Demos vor, woran man gerade bastelt und dann guckt man, ob man das gemeinsam verwendet oder eher nicht. Unser Song „Ausgehen“ ist da ein gutes Beispiel. Den habe ich allein am Computer angefangen, der ging eigentlich in eine elektronische Richtung, ich habe den Zweien den Song vorgespielt, dann hatte Henning aber eine Textidee, Christopher hat was auf der Gitarre gespielt und auf einmal war der Song so, wie er jetzt ist – auch wenn er ursprünglich in meiner Welt, in meinem Kopf stattgefunden hat.

Deswegen sind die also seit Anfang an bei meinen Sachen mit am Start. Beide haben mich auch darin bestärkt, dass ich das nun machen soll, weil sie finden, dass ich so viel Zeugs rumliegen habe, womit man etwas anfangen muss. Mir war das auch wichtig, dass wir uns gegenseitig supporten und man das von den Anderen gutfindet und kein Ego-Ding fährt.

Was verbirgt sich den hinter den Songtiteln? Hättest du gern mehr oder auch weniger Kontrolle, deswegen „control“? Oder brauchst du mehr Schlaf, deswegen heißt ein Song „nap“?

(lacht) „control“ und „change“ sind als Namen schon konkret den Lyrics entlehnt. Auch wenn ich mit eher einfachen Worten und wenig Text arbeite, sind die paar Zeilen, die vorkommen, dafür aber besonders prägnant. Nicht zu cheesy, aber auch ohne zu große Story. Ansonsten sind für mich die Samples prägnanter.

„kassio“ ist für mich einfach ein schönes Wort, ohne Bedeutung. Woher das kommt, weiß ich gar nicht mehr richtig. Ich habe das Projekt irgendwann mal begonnen und muss dem Ganzen ja einen Namen geben, um es überhaupt abspeichern zu können. Genau so war das auch bei „nap“ – ob ich da gerade müde war oder davor einen Nap gemacht habe, wach wurde und das erarbeitet habe, weiß ich gerade nicht sicher. So ein hübsches Wort wie „kassio“ hätte ich eigentlich für die anderen Songs auch gerne gehabt, aber keine passenden gefunden, deswegen heißen sie nun so, wie sie heißen.

Wer bisher deine Solosongs noch nicht kennt – wann und wo sollte man sie hören?

Wo ich die Songs selbst oft gehört habe und wo ich mir auch vorgestellt und gewünscht habe, dass andere sie hören, war in Bewegung. Besser gesagt, auf dem Fahrrad. Ich arbeite oft hier im Studio an Sachen und höre sie dann auf dem Fahrrad auf dem Nachhauseweg nochmal oder auch wenn ich von Zuhause zum Studio fahre. Da geht es dann gar nicht unbedingt um die gute Soundqualität, sondern mehr um das Feeling, ob man es greifen kann. Elektronische Musik hat ja etwas Treibendes, deswegen fände ich es toll, wenn andere das auch so erleben könnten.

Nun hört man dich ja auch singen. Wie ist das Gefühl für dich, wenn plötzlich deine Stimme fertig produziert erklingt?

Ist auf jeden Fall ein Prozess, dorthin zu kommen, die Stimme zu finden und sie gut in den Songs unterzubringen, ohne dass es sich komisch anfühlt. Aber das ist auch einfach Training. Viel die Stimme aufnehmen und einfach immer wieder anhören. Wenn man das oft macht, kann man es auch bald besser einschätzen, wie andere es wohl hören. Genau das habe ich gemacht, viel experimentiert, bis das weirde Gefühl weg war und ich mich wohl damit fühlte. Trotzdem soll sie nicht zu prägnant sein, nicht unbedingt darüberliegen, sondern nur ein schöner Teil des Ganzen sein.

Kantereit: Gibt’s das Projekt auch live?

Und nun kommt auch noch ein AnnenMayKantereit-Song mit deiner Stimme?

(lacht) Das weiß ich noch nicht, mal gucken. Meine Stimme ist schon öfter mal als Backingvocals untergekommen, aber ob sie irgendwann im Vordergrund steht, steht noch in den Sternen.

Hast du denn vor, deine Solosachen live zu präsentieren?

Ich denke schon, ja. Ich weiß allerdings noch nicht wann und wie. Ich mache gerne hier in meinem Studio kleine Livesessions, die ich filme und dann veröffentliche. Das passiert dann mit ganz vielen Loops, also dass ich die Gitarre und den Gesang live loope, dann die Drums und die Synthies und so weiter. Vielleicht mache ich das dann mal vor Leuten. Aber ich möchte mich da nicht so übernehmen, ich mache das Schritt für Schritt ohne Hast.

Parallel dazu arbeite ich auch an neuen Songs, teils alleine, teils mit anderen. Aber die EP war wichtig, dass ich überhaupt mal etwas herausgebracht habe. Und wenn etwas Neues fertig ist, kommt wieder was. Das ist also dann nicht wie bei der Band, dass ein großes Album mit viel Promo parallel einhergeht, was ich für den Bandkosmos als großen Apparat auch schön finde, aber für mich allein eher nicht so sehe. Da finde ich ein schlankes Konstrukt schöner. So kann ich auch langfristig und in ein paar Jahren immer mal wieder Songs zeigen.

Fans von AnnenMayKantereit wird der elektronische Sound von Kantereit überraschen. Foto: Martin Lamberty

Kommt dir dann nicht Streaming auch sehr entgegen? Vor ein paar Jahren wäre dein Konzept noch schwieriger gewesen bei der Veröffentlichung…

Kommt natürlich an, wie man es präsentiert. Streaming ist in der Form recht easy, weil ich nicht auf Vinylpressungen warten und in Vorkasse gehen muss. Die Vergütung auf solchen Plattformen ist natürlich nochmal ein anderes Thema – der Aufwand wird da eher nicht so gewürdigt. Bis man erstmal ein paar Millionen Klicks hat, dauert das schon ordentlich. Zumindest, wenn man eben nicht gleichzeitig auch live spielt oder eine Fanbase bereits hat. Hat also Schattenseiten, aber für mich ist es cool, dass es so unaufgeregt passieren kann.

Ich mag es aber, mir den gesamten Content zu überlegen. Also dazu auch Videos zu machen, Instagram zu nutzen, auf diversen Medien was auszuprobieren. Und wenn es irgendwann mal live passiert, freue ich mich, dass die Musik mit echten Menschen dann geschieht. Ich merke schon, dass wenn man nur am Handy sitzt und auf Klicks und Reaktionen wartet, der richtige Kontakt zu Menschen echt fehlt.

Ansonsten: Was hast du denn an Musik entdeckt, die mehr Leute hören sollten?

Wenn wir vorhin schon bei James Blake waren, kann ich sehr das neuste Album von ihm empfehlen. Der hat eins mit einem Rapper zusammen gemacht, Lil Yachty. „Bad Cameo“ heißt das Album, schön zu hören und abwechslungsreich. Ich mag an James Blake, dass es nicht immer dem Pop-Schema-A entspricht, damit es erfolgreich wird, sondern es um den musikalischen Sinn und die Wertigkeit geht. Hier ist es eben eine Mischung aus Elektronik und Rap. Gerade im Hip-Hop geht es ja oft darum, dass es irgendwie laut ist, knallt und nicht länger als 2:30 Minuten geht. Das ist hier komplett anders.

Die „ep #1“ erscheint am 16.8. auf allen gängigen Portalen.
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