Musik von hier 10/2023: Was NRW im Herbst alles kann

Music makes the people come together - und wie cool ist es, wenn du vielleicht sogar die Künstler:innen aus deinem Kiez persönlich kennst? Foto: Canva
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Genießt ihr die goldene Jahreszeit? Oder zieht’s euch schon wieder in den Herbstblues? Wir sorgen für einen Endorphine-Schub und ballern euch Neuerscheinungen um die Ohren, die wieder zeigen, dass NRW keine musikalischen Grenzen kennt. Zehnte Ausgabe, zehnter Monat im Kalenderjahr, zehn Veröffentlichungen – Zufall? Wir glauben nicht!

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Lugatti & 9ine – Bis hierher

Das neunte Album in sechs Jahren. Und fast genauso viele EPs gab es in der Zwischenzeit auch noch. Das Deutsch-Rap Trio Lugatti & 9ine, das sich durch den Produzenten Traya ergänzt, lässt Fans nicht lang warten. Warum auch ewig neues Material beiseite legen, wenn heutzutage ein Release nur wenige Klicks entfernt ist? Auf der neusten LP „Bis hierher“ gibt es elf sehr straighte, klassische Gangster-Hip-Hop-Tracks, die darauf verzichten, durch Pop-Anleihen jedem gefallen zu wollen. Stattdessen sind die Beats deep, die Lyrics kommen mit gutem Flow und angenehmen Tempo. Die Jungs sprechen sich dabei sogar in manchen Tracks gegen Sexismus, Rechtsradikalität, Body Shaming und Homofeindlichkeit aus, was ihnen auf jeden Fall ordentlich Ernsthaftigkeit und Zeitgeist verleiht. Das Kölner Kollektiv hat in Retronummern wie „Selbe Ecken“ fast schon Run DMC-Vibes, in „Rauchfrei“ ballert der Bass bei dunklen Autofahrten in der dunklen Jahreszeit besonders gut und „Keine Zeit“ hat einige zitierfähige Lines, die laut mitgerappt werden wollen.  Bereits veröffentlicht

Svea Kirschmeier – Raus

Svea Kirschmeier schafft auf ihrer EP „Raus“ den schweren Spagat zwischen künstlerischem Avantgarde-Pop und gutzugänglichem Singer-Songwriter. Die im Rheinland aufgewachsene Künstlerin hat in ihrer Vita bereits einige tolle Stationen verzeichnet: Kompositionen fürs Schauspiel Wuppertal, mehrere Produktionen im COMEDIA Theater Köln und sogar Nominierungen für renommierte Preise wie „Der Faust“. Geht schlechter. Dazwischen bewegt sie sich aber mit teils kurz aneckenden, dann aber auch oft einfach nur entspannenden und guttuenden Klangexperimenten auf ihrer 6-Tracks-EP, die sehr organisch wirkt. Die Themen werden an vielen Ecken der Umwelt entnommen („Der Baum“, „Grün“), in „Geradeaus“ hingegen ist man auf Drum’n’Bass-Pfaden unterwegs, bei denen auch mal ein Chaos im Kopf entsteht. Unbedingt über Kopfhörer hören. Im Outro, das als „Off (Epilog)“ betitelt ist, gibt es ein meditatives Piano mit Soundwaben. Eine äußerst heterogene Platte. Bereits veröffentlicht

Fisch & Oldrik – Rohbau

Zwei der alten Schule hauen neue Alltagsbeobachtungen raus. Fisch – den kennen einige bestimmt noch von Die Lokalmatadore – sowie Bassist Oldrik – der bei The Sidemen zockte – machen erneut gemeinsame Sache. Das Mülheimer Duo legte 2019 mit dem Debütwerk „Neubau“ vor. Damals neu, anders, experimentell. Doch die Phase ist nach vier Jahren eindeutig vorbei. Deswegen lautet der Nachfolger „Rohbau“, steht jetzt etwas im Fokus, das nicht perfektionistisch bis ins Detail ausgeklügelt werden muss, sondern auch mit Ecken und Kanten glänzen darf. Ruhrpott, wie er leibt und lebt eben – dat Schöne im Unschönen. Aufgenommen hat man das Dutzend voller teils wirrer und kurioser, aber auch kluger Geschichten in einer Gartenhütte, weil professionelles Studio ja jeder kann. Selbst gemalt ist das Cover on top auch noch. Das DIY-Projekt von Fisch & Oldrik liefert ein Konglomerat aus Punk, Folk und Country mit viel Humor. „Kleine Kinder“ kommt gerade zur richtigen Zeit. Bereits veröffentlicht

Betrayers of Babylon – Alles wird Groove

Haben wir da unseren Namen gehört? Ja, tatsächlich! Betrayers of Babylon singen in „Der Apparillo“ über Kolibris. Dann kann doch wirklich nichts mehr schiefgehen. Das Sextett aus Essen macht aber auch unabhängig vom schönsten Vogel im Universum richtig nice Sounds, die entschleunigen, die perfekte Wochenenduntermalung darstellen und einfach nach Glückseligkeit klingen. Basis: Reggae, Topping: Brass. Und das auf Deutsch. Hört man nicht alle Tage und muss deswegen auf jeden Fall getestet werden. Sänger Luks und seine Gang haben ihre Saiten, Bläser und die Stimme fest im Griff, lyrisch gibt es Post-Student:innen-Leben mit der Suche nach dem Sinn und viel Liebe an die Welt. Außergewöhnlich: Der Mittelteil kommt über Minuten instrumental aus. Anspieltipps sind „Epic Fail“, „Melancholiker“ und „Skalpell, bitte!“. Weggehtipps gibt’s auch noch, spielt die Kombo aus dem Pott nämlich im November u.a. in Köln, Dortmund und Wuppertal. Das wird Groove, oder?  VÖ: 25.10.

Botticelli Baby – Boah

Wie man gleichzeitig sehr old fashioned und im selben Moment 2023 klingen kann, präsentieren Botticelli Baby auf dem Silbertablett. Unter dem Albumtitel „Boah“ stellt man sich definitiv im ersten Moment etwas anderes vor, als es zu hören gibt – wetten? Das siebenköpfige Ensemble aus Essen spielt eine eigentlich unmögliche Kombination aus Jazz, Balkan-Swing und Punk. Ja, da guckt man schon mal ein wenig irritiert, es klingt aber wahnsinnig lässig, loungig und musikalisch. Hat man in dem einen Moment das Gefühl, einen 50s-Hollywood-Blockbuster zu schauen, dann plötzlich auf dem mit Leuchtreklame übersäten Times Square zu stehen und Charleston zu tanzen, ist man nur wenige Minuten später zurück in einer Szene-Bar mit Gin Tonic in der Hand und Funk im Gehörgang. Die kreative Instrumentierung, der lasziv-mysteriöse Gesang von Frontmann Marlon und das starke Timing haben Botticelli Baby schon auf Bühnen in ganz Europa gebracht. Hört man „Boah“ wird das ohne Zweifel in den nächsten Jahren so weitergehen. Zurück aus der Vergangenheit in die gegenwärtige Zukunft. Oder so. VÖ: 27.10.

Paul & The Microcosm – Bacillus

Mutig, eigenwillig, edgy, anders: Wer das zweite Album von Frontmann Paul Schacht – der am Mikro steht und die Gitarre zupft – und seinen drei Buddys hört, die gemeinsam The Microcosm ergeben, ist an einigen Stellen bestimmt verwirrt. Die Band aus Köln bewegt sich zwischen Punk, Rock und anderen, manchmal nicht ganz schlüssigen Genres. Aber genau das macht’s aus. Experimentell und verschroben krachen die zehn Songs von Paul & The Microcosm aus den Boxen und liefern Material für den Abspann eines skandinavischen Noir-Films. The Cure lässt grüßen, vielleicht auch Nine Inch Nails? Bei „Bacillus“ lohnt es sich, die Platte durchzuhören, um ins Rabbit Hole zu fallen und das Feeling besser greifen zu können. Spannend wird das Erlebnis allemal. Kurze drogenartige Ritte („Heartburn“) machen es sich genauso bequem wie ein wenig Brit-Pop („Insecticide“) und die große Verwandlung zum fulminanten Finale („The Metamorphosis“). Für einige so gar nix, für einige aber wohl die Must-Hear-Erfahrung im Herbst. VÖ: 27.10.

Doro – Conqueress: Forever Strong and Proud

Ja, bei Doro darf man wirklich davon sprechen, dass sie ein Dino im Business ist: Die „Queen of Metal“, geboren in Düsseldorf, feiert ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum. 40! Dabei wird sie selbst in 2024 gerade einmal 60. Ein absolutes Urgestein, das sich nach der Auflösung der 80s-Kultband Warlock solo ranmachte und seitdem aus der Szene nie wegzudenken war. Für so ein fettes Jubiläum gibt es natürlich auch fette Neuigkeiten. Mit „Conqueress – Forever Strong and Proud“ steht das erste Album seit fünf Jahren an, das 14. übrigens, seitdem sie allein unterwegs ist. Doch damit nicht genug, wird in der Landeshauptstadt einen Tag nach Release die Mitsubishi Electric Halle vollgemacht. 15 Songs plus fünf Bonus Tracks bieten ein richtig fettes Brett an klassischem, melodischen Metal mit zig Gastauftritten. Wem das nicht reicht, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Bandshirt an, Devil horns in die Luft, Haare auf und zu Gitarrengewittern wie in „Children of the Dawn“, „Lean Mean Rock Machine“, dem mit deutschem Refrain ausgestatteten „Fels in der Brandung“ und sogar einem Bonnie-Tyler-Cover des nie totzukriegenden „Total Elipse of the Heart“ die Matte schütteln. Bockt. VÖ: 27.10.

inDUStrial – v1.0

15 Titel von 15 unterschiedlichen Interpret:innen aus (fast) 15 unterschiedlichen Genres. Warum das dennoch wirklich hörenswert ist, kommt jetzt: Mit inDUStrial liegt nun der erste Sampler vor, der nur Acts aus Düsseldorf vereint. Mit Sicherheit fliegen nicht alle 15 auf eure Lieblingsplaylists, aber mit noch größerer Sicherheit zumindest einige davon. Das Niveau ist durchgehend hoch, die Entdeckungsquote enorm. Teils rein instrumentale Piano-Werke (Tom Blankenberg, „hebt“), dann Electronica (Maier/Bode/Hoffmann, „Airport“), plötzlich Rap mit auf Drum’n’Bass (JayJay, „Volle Kanne“), Soul, Gospel und Funk (Tait La Ragazza, „Spell“), Singer-Songwriter-Pop (Tausend Trailer, „Wenn die Wellen brechen“), Deutsch, Englisch und weitere Sprachen. Geht nicht, gibt’s nicht. Düsseldorfs Künstler:innen-Szene enttäuscht nicht und ist auf „v1.0“ vereint. Der Titel lässt darauf hoffen, dass das Ganze kein einmaliges Projekt ist. Also brav unterstützen, teilen, streamen und auf mehr hoffen. VÖ: 27.10.

Patrice – 9

Herbst? Wir streiken! Stattdessen werfen wir das zwar extrem kurze, aber dafür verdammt smoothe neue Album von unserem Lieblingsreggae-Boy Patrice in den Player und liegen so instantly bei 27 Grad unter einer Palme und schlürfen Pina Colada. „9“ ist, es überrascht wenig, das neunte Album des 44-jährigen Kölners, umfasst neun Songs in raschen 25 Minuten und ist so herrlich sommerlich, wie wir es genau jetzt einfach brauchen. Über zwei Jahrzehnte lang macht der ursympathische Rheinländer mit Wurzeln in Sierra Leone schon die Musik, die nur die Allerwenigsten hierzulande machen dürfen, ohne peinlich zu wirken. Doch Patrice schafft erneut perfekte Vibes mit Beats, die keine Hüfte in Ruhe lassen. „Become who you are“ geht mit leichten kubanischen Salsa-Rhythmus los, bei „Sun is out“ wird es dancig, treibend und hookig, „Celebrate“ wird die Fans begeistern, die Classic Reggae suchen. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort! Tour folgt im Frühjahr ’24. VÖ: 3.11.

Adam Angst – Twist

Sehr kluger, bissiger und ziemlich witziger Punk-Rock mit Turning Point – da macht der Albumtitel „Twist“ doch durchaus Sinn, oder? Adam Angst aus Köln überzeugen auch in der dritten Runde auf Albumlänge und liefern keinerlei Ausfälle und stattdessen viele kreative Ideen. Jeder der elf Songs macht irrsinnigen Spaß, fordert Konzentration, um sich dann zwischen Headbanging und Schmunzeln nicht entscheiden zu können. Hier warten Ohrwürmer fürs Moshen („Mindset“) genauso auf uns wie ein nachdenklich gesteckter Rahmen, mit dem es am Anfang auf sozialkritischem Wege losgeht („Die Lösung für deine Probleme“) und ähnlich endet („Dass du bleibst“). Adam Angst mit ihrem Frontmann Felix machen es den Zuhörer:innen wirklich nicht leicht, den Favoriten zu entdecken, weil’s einfach als Package hervorragend durchgeht. Müssen wir aber unseren Liebling nennen, wäre es wohl der Orkan in „Angst“. Lasst uns doch nochmal kurz kollektiv den Mittelfinger gegen Rechts heben! Danke. VÖ: 17.11.

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